Über die Edition
Fast wie funkelnde kleine Brillis – denkt man beim Blick auf die Spange in der Foto-Edition von Antje Engelmann. Das tiefe Rot knallt und die Lippen sind geöffnet, wie ein sinnliches Versprechen. Zurück bleibt indes ein Irritationsmoment. Das löst sich auf, schaut man auf die Entstehungsgeschichte dieser Fotografie. Es ist ein Selbstporträt der Künstlerin, die „Spange“ – so auch der Titel – ist die Folge eines Unfalls, bei dem sich Engelmann die Frontzähne ausgeschlagen und schwere Gesichtsverletzungen zugezogen hatte. „So entstand diese Fotografie als Frage nach Schönheit, im Spannungsfeld von Anziehung und Abstoßung“, schreibt sie dazu, „und als Spiel mit dem roten Mund, dem Zeichen heterosexueller Lust und Sexualität und als Signifikant von Weiblichkeit.“ Das Werk stellt klassische Merkmale weiblicher Schönheit und Erotik implizit infrage, zeigt uns ihre Fragilität, die kurze Distanz zum Schmerz.
Engelmann nähert sich ihren Sujets immer wieder als Autoethnografin. Ihre Recherchen und multimedialen Werke sind schonungslos und empathisch zugleich. Eigene Lebenserfahrungen und Familiengeschichten sind der Ausgangspunkt für Fragestellungen und Erkenntnisse, die Resonanzräume öffnen und weit über die Künstlerin hinausreichen. Von diesem Mut, der persönlichen und künstlerischen Neugierde kann also jede/jeder profitieren, die/der den Werken von Engelmann begegnet.
Über die Künstlerin
Ob ihre eigene Mutterschaft, ihre donauschwäbische Herkunft oder die Vergangenheit ihrer Tante als Prostituierte – Antje Engelmann montiert und sampelt in ihren Werken Ausschnitte aus dem Bildarchiv der Familie, eigene dokumentarische Aufnahmen und Found-Footage-Materialien. In ihren multimedialen Arbeiten entsteht daraus ein auf realem Boden fußender, assoziativ und kreativ-wissenschaftlich erweiterter, spannender Kosmos.
Die in Ulm geborene Wahlberlinerin stellt international aus. Sie war Meisterschülerin von Lothar Baumgarten an der Berliner Universität der Künste, der in seinem Werk selbst ethnografisch geforscht hat und über Identitäten und das Trügerische daran reflektiert. Engelmann wurde mehrfach mit Preisen und Stipendien wie dem Stiftung Kunstfonds Stipendium und dem Karl-Schmidt-Rottluff-Stipendium ausgezeichnet, zudem hatte sie verschiedene Gastprofessuren, u. a. am Art Center College of Design in Pasadena in Los Angeles und der Weißensee Kunsthochschule Berlin, inne. Dort, wie auch an der Hochschule Düsseldorf ‒ Peter Behrens School of Arts lehrt sie aktuell in den Fachbereichen Bildhauerei sowie Bewegtbild und Sound.
Latest Exhibitions (Selection)
2020, In aller Munde. Von Pieter Bruegel bis Cindy Sherman, Kunstmuseum Wolfsburg (ab 31.10.; siehe https://www.kunstmuseum-wolfsburg.de/ausstellungen/in-aller-munde-von-pieter-bruegel-bis-cindy-sherman/)
2020, Gallery Weekend: Memories of Now, Tacheles, Berlin (10.‒13.9.)
2019, As It Rises Into the Air. Listening as Practice, Goethe-Institut, Max Mueller Bhavan Mumbai, Mumbai
2018/2019, This Land is Your Land / This Land is My Land, Galerie Wedding, Berlin
2018, Last Dance, KINDL ‒ Zentrum für zeitgenössische Kunst (Kooperation mit dem Projektraum Autocenter), Berlin (siehe https://www.kindl-berlin.de/autocenter)
2018, #97 Videoart at Midnight: Antje Engelmann, Babylon-Kino, Berlin
2015, Point of No Return, Heidelberger Kunstverein
2015, Berlin Berlin Berlin. 3 Blicke 1 Stadt, Spanische Botschaft, Berlin
2014, Warm Body, Braennen, Berlin (im Rahmen der „abc“)
2013, Berlin Status 2, Künstlerhaus Bethanien, Berlin
2012, Vice Versa, Kommunale Galerie, Berlin
2011, Ich bin ein Berliner, Dezer Schauhalle Miami, Miami
2011, 12 x 12, IBB-Videolounge, Berlinische Galerie, Berlin
2009, Love in the Age of Postponed Democracy, Kunsthalle Luzern
2008, German Angst, Neuer Berliner Kunstverein, Berlin
2008, Vertrautes Terrain. Aktuelle Kunst in und über Deutsch